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Beschreibung von Paul Stierle

Ausführliche Beschreibung der Burgruine Reußenstein

Die wohl älteste Beschreibung stammt von dem Schreiber des Salbuches der Stadt Wiesensteig aus dem Jahr 1755. Es heißt da: "Ohnfern der Wiesensteiger Markung steht ein hoher und breiter, ganz frey aufsteigender Felsen, worauf das annoch in Mauern stehende Schloss Reußenstein. Hieselbst hat man einen Prospekt ins Württembergische, bis gegen die Pfalz." Es ist dazu zu bemerken, dass man im Jahr 1755 auf der Aussichtsplatte am Fuß des Bergfrieds der Ruine auf kurbayrischem Landesgebiet (Herrschaft Wiesensteig) stand und dass gegen Norden für den Besucher aus Wiesensteig das Ausland Württemberg lag. Die Reichweite des Fernblicks ist richtig angegeben, denn bei günstigem Wetter sieht man bis zum Odenwald, der damals zur Pfalz gehörte.
Von den Beschreibungen des Reußensteins aus dem 19. Jahrhundert sind diejenigen von Gustav Schwab ("Die Neckarseite der Schwäbischen Alb" 182.3; "Wanderungen durch Schwaben" 1838) und von Professor Stälin ("Beschreibung des Oberamts Geislingen 1842) die bedeutendsten. Im Jahr 1821 durchwanderte Gustav Schwab die Neckarseite der Alb und sah vom Heimenstein aus zum ersten Mal die "bisher nicht nur unbeschriebene, sondern auch unbekannte Bergveste Reissenstein." Er drängt seinen Führer aus Neidlingen, ihn dorthin zu führen, und durch weglose, dichte Wälder, immer hart an den Abgründen des Gebirges entlang, verweilend bei den köstlichen Durchblicken auf die Veste, den Führer aushorchend über die Sagen und Geistergeschichten, welche man in den Spinnstuben von Neidlingen erzählte, kommen sie endlich zum Schlosswiesenfelsen und können die hohen Schlossmauern und den mächtigen Turm bewundern. Sie kämpfen sich durch Hecken und Wald des Schlossgartens, klettern den tiefen Burggraben hinab und hinauf, kriechen auf Händen und Füßen durch eine Höhle, die der einzige Eingang in die Veste ist, und stehen dann mitten in den herrlichen Ruinen. Der obere Burghof ist "mit wuchernden Ahornen, Eschen und Steinlinden ausgefüllt." Gustav Schwab zählt 17 Fensteröffnungen an den 40-50 Fuß hohen Mauern des Wohnhauses, er bemerkt den Kamin im Hauptgeschoß der Südwand, er sieht die Rundbogenfenster in der dreistöckigen Westwand und die zwei großen Öffnungen in der Ostwand, von denen er glaubt, dass sie die Eingänge von zwei gewaltigen, übereinander hinlaufenden Zugbrücken gewesen seien.. die sich früher über Zwinger und Halsgraben zur Vorburg geschwungen haben. Von dem Führer gehoben, klettert "der kecke Wanderer nun an den Abgründen des Schuttes hinauf zum 70-80 Fuß hohen Turm", an dessen Westseite er einen Zugang findet ins Innere. Es entgehen ihm nicht die Spuren des Dachansatzes eines Vorbaues an der Nordseite des Bergfrieds, er bemerkt sogar das Stützgewölbe für den Boden dieses Anbaues. Dann freut er sich über die "so gar herrliche" Aussicht in das Herz des Schwabenlandes.
Dieser Wanderbericht von Gustav Schwab vom Jahr 1823, in sehr abgekürzter Form hier wiedergegeben, enthält die erste ausführliche Beschreibung der Ruine Reußenstein. Die Autorität ihres Verfassers hat es fertig gebracht, dass sie etwa 100 Jahre lang mit fast demselben Wortlaut in Literatur und Presse immer wieder auftauchte. Die Beschreibung ist deshalb großartig, weil man aus ihr die beglückende Entdeckerfreude eines Wanderers herausfühlen kann, dem die Heimat immer wieder neu vorkommt, wenn er sie ohne Zielhetze bedächtig und hingebend und forschend erwandert.
Aus dem 20. Jahrhundert haben wir vorbildliche und sachkundige Berichte über ihre Forschungen auf dem Reußenstein von Otto Piper (Blätter des Schwäb. Albvereins 1900) und Konrad Albert Koch (Blätter des Schwäb. Albvereins 1916). Die Beschreibungen, Zeichnungen und Pläne aus der Hand dieser beiden Burgenforscher ermöglichen es, dass man sich ein ziemlich genaues Bild der einstigen Ritterburg machen kann. Dies soll, zugleich mit einer notwendigen Vereinheitlichung der Benennung der Einzelteile, die Absicht der folgenden Zusammenstellung und ihrer Ergänzungen sein.

Von Süden herkommend, kann man von der Kopfplatte des Schlosswiesenfelsens die beiden Hauptteile der einstigen Höhenburg Reußenstein klar erkennen, nämlich das Wohngebäude, auch Palas genannt, und den Bergfried (Burgturm). Auf dem mittleren Felsen stehend, zeigt die Ruine ihren schönsten Teil ganz nahe: die in toller Kühnheit hart am Absturz des Burgfelsens gebaute Südwand des Wohngebäudes, mit ihren bleich schimmernden Tuffquadern und ihren 14 dunklen Maueröffnungen.
In reizender Unregelmäßigkeit sind die Licht und Luftschlitze, die Mauerdurchbrüche für die Aborterker, die Schießscharten, Rauchabzüge und Ausgussöffnungen auf die 5 Geschosse verteilt. Hinter dieser prachtvollen Wand, die dem ganzen Bauwerk den Charakter gibt, steht geduckt der anscheinend zu kurz gekommene Bergfried. Maler und Zeichner überhöhen ihn gern, weil sie es ungebührlich finden, dass er in der ganzen Burganlage nicht die Hauptrolle spielt, was bei der Ansicht von Westen und Norden her allerdings nicht stimmt.
Den Burgplatz, in den Urkunden oft als Burgstall bezeichnet, betreten wir, wenn wir den Wallgraben der Vorburg überqueren. Einst ein tiefer Graben, in seiner Abwehrkraft nach außen verstärkt durch einen Erdwall und nach innen durch eine hohe Ringmauer auf einem überhöhenden Rand, trägt er heute einen Waldring um einen Wiesplatz herum, das Burggärtlein genannt. Wanderjugend und Felsenkletterer zelten hier im Sommer mit Vorliebe.

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In der nordöstlichen Ecke der Vorburg hat man Spuren eines Ökonomiegebäudes entdeckt, das mit Stall und Scheuer vielleicht zur Aufnahme der Reitpferde der Burgherrschaft und der Besucher gedient hat. Von diesem Gebäude aus führte eine Mauer über den heutigen Fußweg hinüber zu der vorgelagerten Felsnase.
In der Mauer befand sich das Vortor zur Absperrung des Zugangsweges vom Maierhof zur Vorburg und zur Hauptburg. Die Vorburg liegt ganz auf der Albhochfläche in der Meereshöhe von 756 Meter. Sie ist getrennt von der Hauptburg durch einen Halsgraben (Burggraben). Eine natürliche Felsenkluft wurde hier beim Burgenbau erweitert, vertieft und mit steilen Borten und Vermauerungen der Felsrisse versehen, um jede Annäherung eines Belagerers an die Ringmauer und das Haupttor zu verhindern. Der Halsgraben endete offen an den zwei Stellen, wo er den steilen Abfall des Berghanges erreicht und war natürlich nie mit Wasser gefüllt.

Haupttor, Torturm und der größte Teil der südlichen, östlichen und nördlichen Ringmauer sind in jener Zeit abgetragen worden, da man Altertumsdenkmale als Steinbrüche angesehen hat. Das Haupttor oder das untere Burgtor stand in der Ecke, wo die östliche und nördliche Ringmauer zusammenstoßen. Die ganze Toranlage bestand aus einem Holztor, das den Eingang zum Burgpfad sperrte, aus einem Tor vor dem Zugang zur Unterburg und aus dem Torturm, der nördlich über die Ringmauer vorstand, damit man von ihm aus diese nördliche Ringmauer mit den Schießwaffen bestreichen konnte.
Geht man vom Haupttor geradeaus, so führt ein westwärts abfallender Weg zur Unterburg. Um Missverständnisse zu verhüten, könnte man diesen Teil der Hauptburg auch "unterer Burghof" nennen. Dort findet man als Reste von Wirtschaftsgebäuden (Vorratsräume für Getreide, Feldfrüchte, Holz, auch Wasch und Backhaus und Zisterne) einige Mauerzüge und einen gewölbten Raum, der eher Zufluchtsraum als Keller gewesen sein mag. Die Nordseite dieser Unterburg war früher geschützt durch die hohe nördliche Ringmauer, ferner durch einen Turm mit fast quadratischer Grundfläche auf dem westlichen Ausläufer des Burgfelsens (Eckturm der Unterburg) und durch einen runden Mauerturm (Wehrturm oder Flankierungsturm), der 1815 noch erhalten war und in dem Burgplan von K.A. Koch eingezeichnet ist.
Wendet man sich unmittelbar nach dem Haupttor nach links, so führt der Burgpfad zwischen der äußeren, östlichen, schwächeren Ringmauer und der zweiten, etwas dickeren, inneren Ringmauer als offener Gang (wer oder Letze) zum Zwinger; er macht dort eine Kehre nach rechts, kommt vorbei an der einst vermauerten Mündung eines Durchschlupfes (zur Zeit, als die Burg unbewohnt war und bis 1851 der einzige Zugang zum oberen Burghof, ganz früher ein Notausgang) überschreitet einen Felsenriss auf einem Steg (früher vielleicht Zugbrücke), schlüpft durch das untere Felsentor und kommt vorbei an zwei Basteien, die auf Felsenausläufern über der Unterburg stehen, und führt endlich hinauf zum oberen Burgtor. Man kann die Lage dieses Tores nicht genau angeben, aber es ist wahrscheinlich, dass es das obere Felsentor ist, welches nahe der Nordwestecke des Palas zu dessen Untergeschoß hindurchführt. Der Burgfelsen bildet dort einen soliden Eckpfeiler für die Nord und Westwand des Wohngebäudes und ist auch zum Ausbau einer halbrunden Torschanze benützt worden.
Man sollte vor dem Besteigen der Treppe zum oberen Burghof geradeaus gehen, über den Platz eines einstigen Vorgebäudes außerhalb der Westwand des Palas, zu einem besonders schönen Aussichtspunkt auf einem eingeschränkten Felsvorsprung. Unmittelbar über dem Abgrund stehend, kann man den mittleren und den Schlosswiesenfelsen, in deren gewaltigen Abstürzen so manche phantastische Gestalten herausmodelliert sind, in nächster Nähe betrachten. Der schluchtartige Abschluss des Lindachtales, die dunklen, wunderbaren Buchenwälder an den steilen Talwänden, der helle Felsenkranz am Albrand mit dem wuchtigen Heimenstein (Unholdenstein) und dazu das Gewimmel von einer Unzahl von Flächenformen in allen Farb und Helligkeitsstufen auf dem Talgrund, dies alles fügt sich hier zu einem Landschaftsbild zusammen mit einer ganz seltenen Fülle von Schönheit und ungestörter Ruhe, dessen ganzer Zauber sich allerdings nur in einer stillen, klaren Mondnacht entfaltet.
Steht man im oberen Burghof, so geben die drei gut erhaltenen Umfassungsmauern des Palas im Osten, Süden und Westen eine gute Gelegenheit, Einzelteile des Wohngebäudes der einstigen Ritterburg zu erkennen. Die fünf Geschosse derselben sind an der Innenseite der Südwand am besten zu sehen. Im Untergeschoß waren Küche und Vorratsräume untergebracht. Rauchfang und Kaminschacht des Küchenherdes sind durch ihre Einlassung in die Innenseite der Ostwand ganz deutlich zu lokalisieren. Im ersten Stockwerk, welches das niederste Geschoß ist, mögen die Schlaf und Arbeitsräume (Gaden) des Burgpersonals gewesen sein. Der zweite Stock war für die Burgherrschaft reserviert (für Schlaf, Wohn- und Wirtschaftsräume). Das dritte Stockwerk war fast ganz eingenommen von dem großen Saal, wie er im Hauptgeschoß jeder größeren Burg früher anzutreffen war. Eine Heiznische für offenes Holzfeuer (Kamin) mit einem viereckigen Rauchabzugskanal aus Backsteinen und mit ursprünglichem Wandverputz sind noch gut erhalten. Die Mauerlöcher für zwei dicke Unterzugsbalken unter dem Fußboden des Saals gestatten vielleicht dem Fachmann Rückschlüsse auf die Einteilung der Räume in dem Hauptgeschoß. Zum Saal gehörte auch die schöne Fensternische mit zwei steinernen Sitzbänken, die im 3. Stockwerk der Ostwand zu sehen ist. In der Südwand des Saales befinden sich zwei Fensterschlitze, von denen der eine zugemauert ist, und eine große Maueröffnung für einen Aborterker. Man kann von außen die Lager der einst über die Wand hinausreichenden Bodenbalken für den Erker noch gut sehen. Im obersten, fünften Geschoß (Dachgeschoß), das nach oben gegen das Dach nicht abgeschlossen war, läuft unter den Schießscharten ein Mauerabsatz an der ganzen Wand entlang. Er setzte sich einst an der Ostwand fort und endete am Eingang zum Bergfried. Über diesem Absatz lag der Fußboden eines Wehrgangs; nur auf ihm konnte man die Eingangstüre zu den Turmgelassen erreichen. Die Maueröffnung im Untergeschoß nächst der Südostecke kann als Ausgussöffnung für die Küchenabfälle angesehen werden. Das große Mauerloch unter dem Mauerabsatz des Dachstocks, welches in der Außenseite als schmaler Mauerschlitz endet, ist als Rauchabzug anzusehen.
Die zwei Meter dicke Ostwand des Wohngebäudes ist Deckungsmauer für dieses und zugleich Schildmauer für die Burg auf der Angriffsseite. Sie ist bündig mit der Ostseite des Bergfrieds und reichte früher hinauf bis zur Fußbodenhöhe der zweiten Turmstube, so dass früher von der Vorburg aus der Eingang zum Bergfried nicht gesehen werden konnte. Die große Höhe der Schildmauer war notwendig, weil der gegenüberliegende Rand der Albhochfläche (756 m) überhöht werden musste. An der Innenseite der Ostwand, zwischen Palas und Bergfried, war früher ein Gebäudeflügel angebaut. In ihm befand sich die Burgkapelle, von der jetzt nur noch eine große, tonnengewölbte Nische (Kapellennische) erhalten ist, deren Rückwand gegen Osten ausgebrochen wurde. Die Seitenwände dieser Kapellennische waren geschmückt mit Freskomalereien (Arabesken auf grünem Grund mit schwarzen Konturen und weißen Glanzlichtern).

Madonna

 Von ihnen sind nur noch schwache Spuren vorhanden, deshalb werden sie allgemein übersehen.Auch die Zeichnung einer Frauengestalt in strenger, gotischer Linienführung im Zenit des Rundbogens dieser Nische wird selten beachtet. In dem Sammelwerk "Kunst und Altertumsdenkmale in Württemberg" ist die Zeichnung aufgenommen als ein Madonnenbild aus der Zeit um 1480. Man kann die eben beschriebene Maueröffnung nicht als Fenster und nicht als Kapellenerker bezeichnen, wie das seither geschehen ist; denn es ist von innen und von außen ganz deutlich zu sehen, dass früher eine Rückwand der Nische vorhanden war. Ein hohes, breites Fenster oder ein Kapellenerker ist in der Schildmauer einer Burg kaum vorstellbar. Auch die seit der ersten Beschreibung im Jahr 1823 immer wiederholte Annahme, dass hier der Eingang zur Hauptburg gewesen sei, ist dadurch widerlegt. Als Eingangstor zum oberen Burghof kann ebenso wenig die andere, noch größere Maueröffnung in derselben Wand angesehen werden. Sie ist nichts anderes als ein gewaltsamer Durchbruch von denjenigen, die einst alles von der Burg herausholten, was nicht niet- und nagelfest war.
In der Westwand sieht man ein Fenster im Untergeschoß und drei schöne, tonnengewölbte Fensternischen (zwei im ersten und eine im zweiten Stockwerk). In den Rückwänden der Fensternischen gewährt je ein zierliches Rundbogenfensterchen spärlichen Eintritt von Licht und Luft. Weil man hier im Westen der Burg keine Beschießung zu befürchten hatte, genügte eine Mauerdicke von etwa einem Meter.
Von der nördlichen Umfassungsmauer des Palas ist nur ein kleiner Rest vorhanden. Ausgehend von der Nordwestecke wendet sie sich nach 6 Metern im rechten Winkel nach Süden, um dem oberen Burghof mehr Raum zu geben, läuft aber nach 4 Metern wieder der Ostwand zu. In der Nordwestecke befindet sich das vom Gebäudeschutt fast verdeckte obere Felsentor und ein Schlupfloch zu der Torschanze. Warum eine große Fensternische mit Sitzbänken zugemauert wurde, so dass nur noch ein winziges Rundbogenfensterchen übrig blieb, das ist wohl kaum zu erraten

Der Bergfried der Burg Reußenstein war deshalb nicht der betont wesentlichste Teil der Burganlage, weil er kaum höher war als der First des Daches vom Wohngebäude. Er hat vor allem als Warte gedient. Der Turmwächter konnte von dem Guckfenster der obersten Turmstube, die heute nicht mehr da ist, ein großes Stück der Hochfläche der Alb überschauen. Die Vorburg war früher selbstverständlich nicht bewaldet. Auch die Überwachung der ältesten Albsteige von Neidlingen nach Wiesensteig über den Maierhof war leicht möglich. Wenn der Bergfried als Verteidigungsturm keine Rolle spielte, wegen der Lage der Burg auf einem hohen Felsen und weil die Ostwand des Palas die Funktion einer Schildmauer so gut ausüben konnte, so gab er den Burgbewohnern doch als ausgeklügelt unzugänglicher Zufluchtsort im Ernstfall ein beruhigendes Sicherheitsgefühl. Der Turm steht auf dem höchsten Teil des Burgfelsens und war ursprünglich, an seiner Nordseite gemessen, 18 - 20 m hoch. Im Jahr 1815 war er noch in seiner ganzen Höhe bis zum Anfang des Zeltdaches erhalten. 1825 fehlte ihm bereits das dritte Turmgelass. Heute schätzt man seine Höhe auf 16 m. Der untere Teil des Turmes diente als Burgverließ (Gefängnis) und war gegen die Turmstuben durch ein Tonnengewölbe abgeschlossen. Es war bis zum Jahr 1953 durch ein jedenfalls von Schatzgräbern aufgebrochenes Loch auf der Westseite des Turmes zugänglich. Grauenhafte Erinnerungen haften sich an dieses Verließ. Graf Ulrich von Helfenstein soll hier Hexen, die zum Feuertod in Wiesensteig verdammt waren, im Jahr 1665 eingesperrt haben. In der Nacht vom 11. November 1841, so berichtet Gutsverwalter Eberhard vom Hof Reußenstein in seinem Arbeitsjournal, endete hier im dunklen Turm ein Student sein Leben durch Selbstmord mit einem Messer. Auf der heutigen Aussichtsplatte, da wo die Ruhebank steht, war früher ein Gebäude, dessen Dachansatz an der Nordseite des Bergfriedes zu sehen ist. Den Mauerriss in der Wand soll ein Blitzstrahl verursacht haben. Etwa 15 m hoch in der Südseite des Turmes (vom Burghof aus gerechnet) liegt der Eingang zu demselben. Er konnte durch ein richtiges Tor verschlossen werden, was aus dem starken Sturzbalken und der dicken Schwelle der Maueröffnung geschlossen werden kann. Die vielen Mauerlöcher in der Wand waren die Auflagen der Unterzugs und Dachbalken des Flügelanbaues und haben deshalb für die Höhe der Turmgelasse keine Bedeutung. Auf der Ostseite des Bergfrieds sind noch 2 Schießscharten erhalten, 1815 war noch das Ausguckfenster der dritten Turmstube zu sehen. Die Fußsohlen der Schießscharten stehen auf dem Fußboden der Turmstuben auf, was dem Schützen das Schießen nach unten möglich machte. Auch den Schützen im Wehrgang oben an der Ostwand war das Schießen abwärts in den Zwinger dadurch ermöglicht, dass das Dachgeschoß mit einem auskragenden, schräg nach oben gerichteten Mauerstück begann und dass darin mehrere, schräg nach unten sich öffnenden Schießscharten lagen. Diese Auskragung ist oben an der Südostecke des Palas deutlich zu sehen.
Über die Burganlage im Allgemeinen sagt Otto Piper, dass der Reußenstein an die "ausgehauenen" Burgen der Haardt und Vogesengrenze erinnere. Das will heißen, dass hier wie dort die natürlichen Gegebenheiten eines Felsens für die Unterbringung der baulichen Bestandteile einer Burg bis aufs letzte ausgenützt wurden. Eine gründliche Umschau in den Ruinen wird das bestätigen. Auch die Behauptung, dass in der Ruine fast alle baulichen Bestandteile einer mittelalterlichen Burg, wenn auch nur als Reststücke, vorhanden sind, kann in sehr interessanter Weise nachgeprüft werden an der Hand der Frage: Wie wollte man den Angreifer der einstigen Burg durch immer gefährlicher werdende Verteidigungsanlagen daran hindern, bis ins Innere des letzten Zufluchtsraumes im Bergfried zu kommen? Nach dem Urteil der Sachverständigen darf man annehmen, dass die Burg Reußenstein, welche etwa in der zweiten Hälfte des l_3. Jahrhunderts gebaut wurde, nach dem Jahr 1441 von den Grafen von Helfenstein umgebaut und durch Nebengebäude erweitert wurde.
Eine gründliche Beobachtung der Mauern lässt Uneinheitlichkeit in der handwerklichen Behandlung und Verwendung des Baumaterials, Zumauerungen und Neueinsetzung von Fenstern erkennen. Nicht ein bescheidener Ritter, wohl aber ein reicher Graf kann die Burg zu einem als Schloss geltenden Bauwerk gemacht haben.
Die Aussicht vom Fuß des Bergfrieds nach Norden hat schon, wie wir wissen, die erste Beschreibung der Burg aus dem Jahr 1755 gerühmt. Gustav Schwab fand sie 1823 "ganz großartig" und in der Oberamtsbeschreibung von Geislingen (1842).spricht der Verfasser von einem "herrlichen Blick in das Neidlinger Tal und ins Unterland".
Ausführlich und treffend beschreibt ein Aufsatz in den Blättern des Schwäb. Albvereins von 1892 den Fernblick: "Die Aussicht ist die schönste, die man sich aus dem Hintergrund eines Tales in die freie Landschaft hinaus denken kann! Der Blick schweift mit Wonne hinweg über das freundliche Neidlingen und das fernere Weilheim, hinaus auf den Hintergrund, der sich über dem Turmberg und der Limburg hinzieht. Gerade der Gegensatz dieser dörferreichen Ferne gegen die gewaltige Nachbarschaft macht den Reiz des Bildes aus."
Mancher Besucher hat schon den Wunsch geäußert, man solle den Bergfried besteigbar, d.h., zu einem Aussichtsturm machen. Das würde sich nicht lohnen, denn oben auf dem Turm ist die Aussicht durch verschiedene  auf der Alb, die im Osten, Süden und Westen bis 800 m aufsteigen, fast ebenso begrenzt wie von unten.Höhenzüge.

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