N2
Beschreibung von Paul Stierle

Aus der Geschichte der Markung Reußenstein

ReiK

Als der Ortsadel von Neidlingen im 13. Jahrhundert die Höhenburgen Randeck  Lichteneck und ebenso Reußenstein - Heimenstein errichten ließ, da musste er den Burgherren auch Äcker, Wiesen, Weiden, Wald und einen Bauernhof zu ihrer wirtschaftlichen Existenzmöglichkeit geben. Glücklicherweise waren die Herren von Neidlingen in der Lage, solches Hinterland vom eigenen Grund und Boden abgeben zu können.
Seit der Vermarkung der alemannischen Ursiedlung Neidlingen gehörte zu deren Markungsbereich auch ein Stück der Albhochfläche vom Hof Reußenstein bis zum Randecker Maar.
Die mündlich überlieferten Grenzpunkte dieses Gebietes waren der Graue Stein, Bahnhöfle, Wolfwiesenwald, Mönchberg und Hof Randeck.
Dieses Hinübergreifen der Albtalsiedlungen über die Schlegelwälze (Trauf) auf die Hochfläche gilt  als Norm und man trifft es bei den meisten Dörfern in den engen Tälern im Pleonungetalgau (oberes Filstal) und im Neckargau (z.B. im Lautertal).

Von dem Teilstück der Urmarkung Neidlingen "uff der Alb" erhielt der erste Ritter auf dem Reußenstein seine Burgmarkung, deren Grenzen nach alten Grenzbeschreibungen mit ziemlicher Berechtigung wieder angegeben werden können. Als Ausgangspunkt der Grenze nehmen wir den Kreuzstein aus Kalksinter im Wald zwischen dem "Wasserstall" (Felsnische mit Sickerwasser) und dem Ende der "Zweigbahn" (= direktes Verbindungssträßchen zwischen der Neidlinger Steige und Hof Reußenstein, abzweigend bei der so genannten "Oberen Wendung", erbaut 1862).
Der angegebene Kreuzstein war früher nicht nur ein wichtiger Grenzpunkt für die Markung der Stadt Wiesensteig, sondern auch für die Zehentgrenze Wiesensteig  Neidlingen. Der nächstwichtigste Markungs und Zehentgrenzstein stand neben einer "Steinhühle" und einem Steinriegel auf dem "Mayerhofegart". Blatt 99 der Messtischblätter 1:25 000 bezeichnet diesen Grenzpunkt mit "Steinbruch". Wenn wir auf der Karte eine gerade Linie von dem Kreuzstein zu dem Steinbruch ziehen, so haben wir die wichtigste und am meisten umstrittene Grenzlinie der früheren Markung Reußenstein gegen die Markung Wiesensteig. Am besten könnten wir nun den weiteren Verlauf der Markungsgrenze auf der Katasterkarte von 1828 verfolgen, denn wir dürften nur der Linie zwischen Schlag 11 und 12 und zwischen Birkwald und Eichhau nachgehen und dann dem Breitenweg (= Weg in die "Breithe") und dem östlichen Grenzgraben der "Großen Weite" entlang gegen den "Grauen Stein" zu wandern. Jetzt folgt die Grenze der Markung Reußenstein dem Waldrand nach rechts zum Bahnhöfle, von da wieder nach rechts, immer dem Albrand nach über die Burg Reußenstein zum Ausgangspunkt am Kreuzstein zurück.
Innerhalb dieser Grenzlinie liegt das Gebiet, das wir vielleicht als Urmarkung Reußenstein bezeichnen dürfen, wie sie seit der Zeit der Burgengründung bestand. Im Jahr 1628 werden als Fluren dieses Gebietes nur die Maierhofgüter und die Wälder Pfannenhalden, Platzholz (als Flurname abgegangen, Lage unbekannt) und Truttenthälin genannt. Schon im 14. Jahrhundert war ein Drittel der Burgmarkung Heimenstein (heute Drittelwald) zur Markung Reußenstein erb oder kaufweise hinzugekommen. In der Zeit zwischen 1441 und 1551 erwarben die Helfensteiner den Wald "unterm Reußenstein Grafenhalden genannt".
Markungsgrenzen wurden immer heilig gehalten und gegen bodengierige Nachbarn mit aller Verbissenheit verteidigt. Die Streitigkeiten um die Zehentgrenze Kreuzstein  Maierhofegart dauerten z. B. vierzehn Jahre (17o6  1720). Es handelte sich darum, aus wie viel Jauchert Äcker des Hofgutes Reußenstein der Armenkasten Weilheim (seit 1430 Inhaber des Armenkastens Neidlingen) den großen Zehent beziehen darf. Das Collegiatstift Wiesensteig machte ihm das Gebiet streitig, welches östlich der oben angegebenen Grenzlinie lag, weil es nicht zur Markung Reußenstein sondern zur Markung Wiesensteig gehöre. Der Armenkasten Weilheim hätte jedenfalls das uralte Zehentgebiet des früheren Armenkastens von Neidlingen verloren, wenn die Zehentsteine neben den Marksteinen nicht gestanden wären. (1755).
Die ganze Ortsgrenze der Markung Reußenstein vom Kreuzstein bis zum Grauen Stein scheint seit der Frühgeschichte eine bedeutende Rolle gespielt zu haben. Archivar Kirschmer in Göppingen vermutet hier eine Grenze zwischen alemannischen Bezirken und weist dem Grauen Stein eine besondere markante Bedeutung zu, weil sich hier die Grenzen der alemannischen Hauptorte Giselingen und Kirchheim getroffen haben und ein Römerweg von Neidlingen über den Maierhof, Grauer Stein, Steinernes Haus, Westerheim, Hohenstadt nach Amstetten geführt haben könnte. Zur Zeit der Karolinger war der "Graue Stein" ein Treffpunkt der Grenzen des Neckargaues und des Pleonungetalgaues, später ein Merkstein für die Abgrenzung der Hoheitsgebiete der Herzoge von Zähringen, der Herzoge von Teck, der Grafen von Aichelberg und Württemberg gegen die Helfensteiner. 1461 schob sich diese Grenze bis an den Albrand vor, denn in diesem Jahr wurde die Markung Reußenstein in das helfensteinische Hoheitsgebiet eingegliedert.
Die Markung Reußenstein ist innerhalb der Herrschaft Wiesensteig unter der Oberhoheit der Helfensteiner und der Kurfürsten von Bayern nach Aussage einer Menge von Akten eine eigene besondere Markung geblieben und der Maierhof war von allen öffentlichen Lasten (Steuer, Quartier- und Kriegsumlagen) frei. Der Hof galt 1753 als Erbenrechtshof, Erbrechtsmaiereihof oder herrschaftlich veranlaither Freistiftshof, d. h., der Besitzer hatte kein volles Eigentumsrecht an seinem Hofgut; denn er musste an den Grundherren einen jährlichen Zins oder "Stift" und auch "Gült" entrichten. Die Hofbesitzer nach 1753 bezahlten 75 Gulden "Stift" oder Grundzins und reichten der Herrschaft jährlich 15 Scheffel Feesen (Dinkel) und 15 Scheffel Haber als Gültgetreid. Der Hof konnte nur mit landesfürstlicher Erlaubnis verkauft werden und die landesfürstliche Oberherrschaft hatte das Wiederlosungsrecht, d. h., sie konnte jederzeit den Maierhof um die Summe von 1500 Gulden wieder zurückkaufen. Jedes Mal, wenn ein neuer Besitzer auf den Hof kam ("Veränderungsfall"), war ein Laudemium ("Auf und Abfahrt") von 500 Gulden zu bezahlen. Man könnte fast glauben, der Hof sei als Erblehen verliehen worden. Der große und kleine Zehent musste 1835 an den Staat abgeliefert werden. Jeder Hofbesitzer ("Freistiftler") war verpflichtet, die Gebäude des Hofes baulich zu erhalten, an ihnen und den Gütern nichts zu verändern, nichts zu verkaufen, zu versetzen oder zu vertauschen, sondern darauf bedacht zu sein, dass an nichts ein Abgang geschieht, vor allem die Felder gut gebaut werden. Wir verstehen nun, dass der Hof Reußenstein in der Zeit von 18_35  62 jährlich von einer Landwirtschaftskommission besucht wurde, die sogar den jährlichen Bebauungsplan für die Äcker festlegte.
Die Helfensteiner, und nach ihnen die Kurfürsten von Bayern (gemeinsam mit den Fürsten von Fürstenberg) haben in den damaligen Salbüchern feststellen lassen, dass einzig und allein ihnen die hohe und niedere Obrigkeit auf der Markung Reußenstein zugehörig sei. Aber Württemberg hatte in dieser ganzen Zeit das Recht der "ewigen Öffnung" auf der Burg. Dieses "jus aperturae in tempore belli et in alliis necessitatis casibus" gestattete dem Rechtsinhaber, eine Burg in Kriegszeiten als Kampf und Versorgungsbasis, aber auch in jeder Notlage als Zufluchtsort zu gebrauchen. In den Kaufbriefen aus den Jahren 1419 1441, in besonderen Verschreibungen und in den Neidlinger Lagerbüchern (1626 und 1703) ist dieses Recht eindringlich verbrieft worden. Dabei wurde auch immer hinzugefügt, dass ohne Gunst und Willen der württembergischen Landesherren keine Besitzänderung auf dem Reußenstein vorgenommen werden darf. Sogar bei Änderungen der Oberhoheit über die Herrschaft Wiesensteig soll den Abgeordneten von Württemberg gehuldigt werden. Nach einem Vertrag vom Jahr 1482 und dem Vorgang einer stattgefundenen Huldigung im Jahr 1594 sollte die Stadt Wiesensteig versprechen, sich in Fehde oder Krieg nicht gegen das Haus Württemberg gebrauchen zu lassen, weder von ihrer Herrschaft noch von jemand anderem. Württemberg bestand auf diese Huldigungspflicht noch im Jahr 1752. Als am 1.3. November 1752 die Erbhuldigung für Kurbayern im Schloss in Wiesensteig stattgefunden hatte, da beschwerte sich Herzog Carl Eugen sofort über diesen "ohnstatthaften, vertrags und rechtswidrigen Huldigungsakt", weil er in Missachtung des württembergischen "jus homagium" abgehalten worden sei. Er verlangte, dass die Huldigung vor den Abgeordneten Württembergs nachgeholt werden müsse. Auch die hohe Obrigkeit der Herrschaft Wiesensteig über den Wald Grafenhalden konnte gegen den Anspruch Württembergs nicht aufrecht erhalten werden.
Aus der Vor- und Frühgeschichte der Markung Reußenstein hat man bis jetzt noch keine Zeugen von einstiger Besiedlung gefunden. Aber das ist in der Zukunft noch durchaus möglich, da das Gebiet um den Filsursprung seit uralten Zeiten ein ergiebiges Jagdgebiet war, wo das Wild von den wasserarmen Hochflächen der Umgebung hierher zur Tränke herunterkam. Auch die Suche nach Grabhügeln kann noch erfolgreich sein, nur darf man verwitterte Felshäupter, Lesesteinhaufen und sonstige Steinriegel nicht als vorgeschichtlich ansehen. Ebenso wenig haben die unzähligen und zufallsgestalteten Splitter von Silexknollen, die in den Waldwegen in der Höhenlage von 775  795 m (Oberer Lachenkopf, Königsweg, lange Richtstatt) liegen, etwas mit Feuersteingeräten zu tun.

 Zurück

 

 Weiter