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Beschreibung von Paul Stierle

Ein Prozess um den Besitz der Ruine Reußenstein

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In den Jahren 1806 bis 1834 war es besitzrechtlich nicht eindeutig geklärt, ob die Ruine den damaligen Maierhofbesitzern oder dem Staat Württemberg gehörte. Diese Frage wurde erst in den Jahren 1828 bis 1834 in einem hartnäckigen Streitverfahren zugunsten des Staates entschieden, und damit auch endgültig festgelegt, dass der Reußenstein auf der Markung Wiesensteig steht. Da er aber ein wesentlicher Bestandteil des Landschaftsbildes vom Neidlinger Tal und dessen schönstes, geliebtes und bekanntestes Wahrzeichen ist, so wird immer wieder gefragt, warum er eigentlich nicht der Markung Neidlingen zugeteilt ist. Darum wollen wir hiermit ausführlich berichten, warum es zu der Entscheidung im Jahre 1834 gekommen ist.
Am 12. Juli 1819 hatte der Bürger und Bauersmann Wilhelm Gauß aus Dettingen/Teck die Hälfte des Hofes Reußenstein gekauft. In seinem Kaufbrief (im städtischen Archiv Wiesensteig) ist niedergeschrieben, dass sein Anteil am Hof genau derselbe sei, wie ihn der vormalige Inhaber Johann Georg Stäble von Ehestetten bei Münsingen besessen habe. Der Kaufbrief des Stähle vom Jahr 1812 sagt aus, dass neben der Hälfte der Gebäude und der Güter des Hofgutes auch die Hälfte vom "Schloss und Burgstall Reußenstein" zum Anteil des Stäble gehörten.

Daraus geht hervor, dass Gauß die Burgruine mit Recht als Zugehör zum Maierhof betrachten konnte. Für diese Annahme hatte er aber noch weitere Rechtsgründe. In seinen Händen befand sich ein Riß (Plan), der von dem examinierten Feldmesser Aichelin von Neidlingen im Jahr 1814 gefertigt worden war.In ihm so behauptet Gauß, sei die Ruine zum Hof eingesteint. Wenn er es gewusst hätte, dann hätte er auch noch einen Markungsplan von demselben Feldmesser, den dieser im Jahr 1812 für Neidlingen fertigte, vorzeigen können, der ihm Recht gegeben hätte. In diesem Plan, der heute im Staatsarchiv Ludwigsburg aufbewahrt ist, liegt die Ruine klar und deutlich innerhalb der Grenzen des Reußensteiner Hofguts. Die eingetragenen Grenzsteine Nummer 112 bis 115 sind die harten Beweise dafür, dass damals die Ruine nicht in den Wald Grafenhalden, sondern im Maierhofgut eingesteint war und demnach als Eigentum der Hofbesitzer angesehen werden konnte.
Was sagen die Protokolle des Unterganggerichtes in Wiesensteig zu dem Anspruch des Gauß auf die Ruine? Es hatte am 2. September 1818 ein Grenzumgang des Wiesensteiger und Neidlinger Unterganggerichts stattgefunden, weil die Königliche Katasterkommission eine Vermessung aller Ortsmarkungen des Königreichs angeordnet hatte. Aus dem Protokoll über diesen Untergang interessiert uns nur die Grenzbeschreibung im Gebiet der Ruine Reußenstein. Die Markungsgrenze ist dort folgendermaßen beschrieben: Vom Hauptstein Nr. 96 "geht es bergab, dem Schlößle zu, über die Schlößlens Rieß hinab zum Hauptstein Nr. 97, rechts unten am gebaut gewesenen Schlößle (so noch ordentlich ist), dieser fehlt aber gänzlich, sodann über das Schlößle am Felsen herum, so dass dasselbe immer in Wiesensteiger Markung kommt. Es soll ein Hauptstein am unteren Ende des Schlösslensfelsen stehen, welcher ebenfalls nicht mehr vorgefunden wurde. Sodann geht es bergauf über einen anderen Felsen hinum und kommt nach dem Hauptstein Nr. 99 mit beeden Wappen und Jahreszahl 1785 versehen im Burggarten an einem Graben" (Wallgraben der Vorburg). Auch diese Grenzbeschreibung beweist, dass die Ruine nach 1806, dem Jahr des Übergangs der Markung Reußenstein in die landesherrliche Hoheit Württembergs, als Teil des Hofguts betrachtet wurde. Leider sind die früheren Grenzbeschreibungen der Markung Reußenstein gerade über dieses Gebiet verschwunden. Das gilt vor allem für die Grenzrenovierung vom Jahr 1798, die von einer bayrischen und württembergischen Kommission durchgeführt worden war.
So tat Gauß nichts Unrechtes, wenn er das Gras auf dem kleinen Wiesplatz der Vorburg ("Burggärtlein") abmähte und wenn er und sein Mitbesitzer Damian Rummel ihr Brennholz aus dem Gehölz des Burgstalls holten. Aber wir verstehen und billigen es, wenn man Gauß auf die Finger klopfte, als er im Frühjahr 1828 Steine aus der Ruine heraus brach, die er zum Bau einer neuen Scheuer zu verwenden gedachte. Diese Tatsache und der nachfolgende Verlauf des Streithandels sind den Akten im Staatsarchiv Ludwigsburg entnommen. Sobald der Kameralamtsverwalter von Freiersleben in Wiesensteig erfuhr, dass Gauß die Ruine Reußenstein als Steinbruch ausbeuten wollte, alarmierte er im Sommer 1828 seine Freunde, zu denen unter anderen auch der Oberamtmann Knapp von Kirchheim und der Dichter Gustav Schwab gehörte. Man beschloss, eine "Gesellschaft für die Erhaltung der Ruine Reußenstein" zu gründen. Alle, die in einem Altertum mehr sehen konnten als Steine, wurden zur Mitgliedschaft aufgerufen und viele versprachen freiwillige Geldbeiträge. Pflichtgemäß hatte der Kameralamtsverwalter auch seine vorgesetzte Behörde, die Königlich Württ. Finanzkammer des Donaukreises in Ulm, in Kenntnis gesetzt von dem versuchten Abbruch der Ruine; aber ehe das Eigentumsrecht auf dieses Bauwerk nicht klargelegt war, wollte der Staat nicht eingreifen. Bis dahin wollten die Altertumsfreunde nicht warten. Sie machten den Hofbesitzern ein Kaufangebot für die Ruine, den Burgplatz und einen Zugangsweg von der Schopflocher Straße her. Als Kaufsumme wurden 400 Gulden ausgemacht.
Es kam jedoch nicht zu diesem Verkauf, weil jetzt doch der Fiskus dem Oberamt Geislingen den Auftrag erteilte, den beiden Hofbesitzern bei hoher Strafe zu verbieten, fernerhin an der Ruine auch nur die geringste Veränderung vorzunehmen. Es ist interessant, wie die mündliche Überlieferung in Neidlingen dieses Verbot darstellt. Eine Frau erzählt, dass ihr Großvater, ein Maurer, bei dem Abbruch dabei gewesen sei. Er sei auch einmal weit heruntergefallen, aber es sei ihm nichts passiert. Dann sei eines Tages ein Herold vom König in hellem Galopp daher geritten gekommen und habe schon von weitem ein Dekret geschwenkt. Vom Rand des Burggrabens habe er zu den Maurern und Zimmerleuten hinübergerufen: "Befehl von Seiner Majestät, dem König: Sofort aufhören!"
Die Gefahr des Abbruches der alten Ritterburg war abgewendet und man konnte nun an die Aufgabe gehen, die Besitzfrage zu entscheiden. Die Finanzkammer zog bei den Ämtern der Staatsverwaltung und bei den örtlichen Archiven Erkundigungen ein, was aus den Urkunden zu dieser Sache zu entnehmen sei. Das Ergebnis war folgendes: Als im Jahr 1753 das Kurpfälzisch-Bayrische Verwaltungsamt in Wiesensteig den Hof Reußenstein an den seitherigen fürstenbergischen Obervogt A.L. Schmidt verkaufte, da wurde in dem Kaufkontrakt nichts davon erwähnt, ob auch Schloss und Burgstall Reußenstein verkauft wurden. Diese Tatsache wurde als Beweis angesehen, dass die Ruine diesem Schmidt als erstem Privatbesitzer des Hofes (vor ihm waren nur Beständer, d. h. Pächter, auf dem Maierhof) gar nicht als Eigentum gehört habe und folglich auch seine Nachfolger kein Recht auf sie hätten. Es wurde festgestellt, dass die Besitzer seit 1752 ihr Brennholz vom Burgplatz durch den Wiesensteiger Holzwart (Förster) zugeteilt bekamen, woraus man folgerte, dass die Ruine dem Wald Grafenhalden zugerechnet war. Die Finanzkammer stellte am 27. Januar 1829 fest, dass aus dem Riß in dem Salbuch der Stadt Wiesensteig vom Jahr 1755 kein Beweis für das Eigentumsrecht der Hofbesitzer auf die Ruine abgeleitet werden könne. Es wurde endlich herausgefunden, dass in der Grenzbeschreibung des Reußensteiner Lagerbuchs vom Jahr 1760 die Schlossruine zum Wald Grafenhalden eingesteint sei und deshalb jetzt noch zu diesem Wald gehöre. Die Hofbesitzer mussten zugeben, dass in den 6 Kaufbriefen von 1753 bis 1812 nichts davon geschrieben steht, dass Schloss und Burgstall Reußenstein ein Bestandteil des Hofgutes sei. dass dies im Kaufbrief des Stähle von 1812 geschrieben sei, das wurde als versehentlich eingeschlichener Fehler bezeichnet. Das Herkommen, auf das sich Gauß berief, wurde dadurch vollkommen entwertet. Auch die.Untergangsprotokolle ließ man nicht gelten. Sie wurden als unmotiviert bezeichnet. Man erklärte, die Formalien seien dabei wenig gewahrt worden. Einzig und allein die Vermessung und die Versteinung des Feldmessers Aichelin im Jahr 1814 wurden anerkannt, weil "dieselben unter öffentlicher Autorität vorgenommen worden seien".
Man ließ gelten, dass Gauß im Jahr 1819 auf Grund dieser Vermessung, welche die ortsgerichtliche Bestätigung erhalten hatte, den halben Hof gekauft habe. Und deshalb wollte man nun auf gütlichem Weg zu einer Übereinkunft kommen, wem die Ruine gehören soll. Aber Gauß war hartnäckig. Er erklärte, auch im Namen seines Mitbesitzers Rummel, er wolle keinen Vergleich, er wolle sein Recht, er wolle seine Burg haben. Als der Fiskus erfuhr, dass die Hofbesitzer einen Advokaten zum Durchfechten ihrer Sache bestellt hatten, da schickte auch er eine Klageschrift an das Oberamtsgericht in Geislingen. Zugleich aber ließ die Oberfinanzkammer den Maierhofbauern eröffnen, dass sie nach dem Schmidtischen Kaufbrief vom Jahr 1753 keinerlei Recht gehabt hätten, an dem alten Schloss nur das Geringste zu ändern und man werde sie zur Wiederherstellung des Mauerwerkes auf ihre Kosten zwingen. Sie wurden belehrt, dass der Fiskus das ihm jederzeit zustehende Wiederkaufsrecht auf das ganze Schlossgut Reußenstein um die Summe von 1500 Gulden jetzt ausüben könne. Die Finanzkammer gab zu erkennen, dass sie die ohne ihr Wissen auf das Gut aufgenommenen Kapitalien nicht anerkennen werde. Und man versäumte nicht, darauf hinzuweisen, dass ein Prozess und der Wiederkauf des ganzen Hofes um 1500 Gulden (Gauß hatte 1819 für den halben Hof 5800 Gulden bezahlt") für die unter bekannten misslichen  Vermögensverhältnissen leidenden Hofbesitzer eine Vertreibung von Haus und Hof bedeuten könnte.
Im Oktober 1834 war nach mehreren Vergleichsverhandlungen vor dem Oberamtsgericht Geislingen noch kein Ende des Streites abzusehen. Das Ende aber kam gerade in dem Zeitpunkt, als der Karren hoffnungslos verfahren war. Die beiden Hofbesitzer starben plötzlich an der Brechruhr und die beiden Witwen unterzeichneten bald darauf am 20. Dezember 1834 eine Übereinkunft mit dem Fiskus, nach der sie auf ihren Anspruch an die Burgruine Reußenstein verzichteten. Diese, mit dem Burgstall und einem Weg dahin über die Felder des Hofes am Trauf entlang zu der Straße nach Schopfloch, blieb nun endgültig dem Staat vorbehalten.
Mit Erstaunen erfährt man, dass Seine Königliche Majestät vermöge höchster Entschließung vom 19. Oktober 1835 der unentgeltlichen Überlassung der dem Staat gehörenden Burgruine Reußenstein als Eigentum an den Obersten und Adjutanten des Königs von Fleischmann die gnädige Genehmigung erteilt. Wir vermerken zum Schluss, dass General von Fleischmann Hof und Burg unter gerichtlicher Anerkennung vom 14. März 1862 an die Königliche Hofdomänenkammer verkauft hat. Damit kam sie in den Privatbesitz des Hauses Württemberg, dem sie heute noch gehört. Jeder Naturfreund freut sich, dass ein so ehrwürdiges Altertumsdenkmal in den Händen eines hochgesinnten Eigentümers ist, so dass für jung und alt der ungehinderte Zugang zu dem einzigartigen Anschauungsbild einer mittelalterlichen Ritterburg verbürgt ist. Alle Besucher aber sollten daran denken, wie viel Opfer an Geld zur Erhaltung der Burg notwendig waren und sollten es als höchsten Frevel ansehen, wenn dieses Kleinod in irgendeiner Form beschädigt wird.

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